Friedensoptionen

Ekkehard Maaß
Utopie einer politischen Lösung des russisch-tschetschenischen Konflikts
(Politische Lösung statt Fortsetzung des Krieges? in: Ost-West Gegeninformation, 1/2005)

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Einleitung

Eine politische Lösung des russisch-tschetschenischen Konflikts hat nur Sinn, wenn sie sich am Wesen des Konflikts orientiert und beide Seiten einbezieht, um einen sowohl für Russland als auch für das tschetschenische Volk akzeptablen Kompromiss zu finden.
Die russischen Kriege in Tschetschenien von 1994 bis 1996 und seit 1999 sind koloniale Kriege, in denen sich das Recht des tschetschenischen Volkes auf Selbstbestimmung und das Recht des russischen Imperiums auf die Integrität seiner Grenzen gegenüberstehen.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion bedeutet die Existenz eines unabhängigen tschetschenischen Staates für das neue Russland einen nicht hinnehmbaren Prestigeverlust und den Verlust an Einfluss in der kaukasischen Region. Nach den genozidalen Erfahrungen mit Russland im 19. und 20. Jahrhundert und den russischen Kriegsverbrechen in den beiden Tschetschenienkriegen bedeutet die Unabhängigkeit für die Tschetschenen das Überleben ihres Volkes. Dass dem tschetschenischen Volk im Gegensatz zu den baltischen, südkaukasischen, mittelasiatischen Völkern, der Ukraine und Weißrussland das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, ist die Hauptursache des Konflikts.

Utopie eines politischen Friedensprozesses

Die tschetschenischen Friedensvorschläge sind durchaus realistisch und sollten gehört und diskutiert werden. Doch das erste Problem ist, dass die Tschetschenen, die ihr Land verteidigen und buchstäblich vor den Augen der Welt vernichtet werden, von der politischen Öffentlichkeit weder als für ein politisches Ziel kämpfende Seite, noch überhaupt als Subjekt ihrer Geschichte wahrgenommen werden. Das zweite Problem ist, dass es keinen Friedensprozess geben kann, wenn er von einer der beiden Seiten nicht gewollt ist. Mit der Ermordung des legitimen tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow hat Russland gezeigt, dass es den Krieg nicht beenden will, dass es keine politische Lösung geben wird.
Das dritte Problem ist, dass das wirtschaftliche und politische Interesse an Russland, besonders Deutschlands, so groß ist, dass der Tschetschenienkrieg trotz der ungeheuren russischen Kriegsverbrechen und der Explosivität dieses Krieges nicht als dringliches Thema Beachtung findet. Der Tod Aslan Maschadovs bedeutet, statt eines möglichen Friedens, eine Verschärfung und Eskalation des Konflikts, neue unschuldige Opfer und mit der sich deutlich abzeichnenden autoritären Entwicklung Russlands eine Bedrohung der Sicherheit in Europa. Finden tschetschenische Politiker, wie der neue Präsident Abdul-Khalim Saidulaev, der den Kurs Maschadovs fortsetzt, und seine in Europa agierenden Minister Achmed Zakaev, Umar Khanbiev oder Apti Bisultanov, die sich eindeutig zu den Werten westlicher Demokratien bekennen und sich für ein demokratisches Tschetschenien einsetzen, keine Unterstützung ihrer Friedensbemühungen, werden sie ihren Einfluss in Tschetschenien verlieren mit unabsehbaren Folgen. Sie müssen öffentlich in den politischen Dialog einbezogen werden, um sie von dem falschen Vorwurf des Terrorismus zu rehabilitieren und den russischen Partnern zu demonstrieren: wir reden mit ihnen, ihr müsst mit ihnen verhandeln.