Deutsch-Kaukasische Gesellschaft e.V.

Das Christentum in Armenien und Georgien
aus: Wilhelm Baum, Die Verwandlungen des Mythos vom Reich des Priesterkönigs Johannes, Klagenfurt, 1999;

Die Armenier und Georgier im Gebiet des Kaukasus gehören zu den ältesten Kulturvölkern.1 Zur Zeit der Achaimeniden in Persien siedelten die Armenier bereits im Gebiet um den Vansee in der heutigen Osttürkei; ihr Gebiet bildete die Nordgrenze des persischen Weltreiches. Durch Armenien2 führte die große Handelsstraße, die das Perserreich mit Zentralasien und China verband. 331 v. Chr. geriet Armenien unter die Herrschaft Alexanders des Großen; nach seinem Tod gehörte es zum Reich der Seleukiden. Unter der Dynastie der Arsakiden wurde Armenien seit 190 v. Chr. wieder unabhängig. Etschmiadzin entwickelte sich zur heiligen Stadt der Armenier; später residierte hier der Patriarch (Katholikos). Zur Zeit des Hellenismus erlebte Armenien unter Tigranes II. (95-45 v. Chr.) eine Blütezeit; dann zerfiel es in eine Reihe von kleinen Königreichen; Großarmenien lag am Oberlauf des Euphrat, während Kleinarmenien sich westlich des Euphrat bis nach Kappadokien in Kleinasien erstreckte.

Die Geschichte Georgiens beginnt mit dem Stamm der Iberier in Ost-Georgien, die im vierten Jahrhundert v. Chr. in Georgien einen eigenen Staat errichteten, der stärker hellenisiert wurde als Armenien. Die Georgier nennen sich selbst „Kartveli“; der Name „Georgien“ stammt von den Kreuzfahrern. Die georgische Sprache wird auch „Grusinisch“ genannt. König Mithridates von Pontus (120-63 v. Chr.) versuchte gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Tigranes II. dem Großen von Armenien den Römern in mehreren Kriegen die Gebiete am Kaukasus zu entreißen. Unter Tigranes II. wurden Syrien und der östliche Teil Kleinasiens dem armenischen Reich einverleibt. Pompejus eroberte Armenien um 65 v. Chr. und gliederte es dem Römischen Reich ein. Teile Armeniens blieben jedoch selbständig, und auch die Könige der Iberier in Georgien behaupteten sich als Verbündete der Römer zwischen diesen und dem Reich der Parther. Im Schriftverkehr wurde die griechische Sprache verwendet; auch die Münzprägung lehnte sich an griechische Vorbilder an. 53 n. Chr. übernahm mit Tiridates I. die ursprünglich parthische Dynastie der Arsakiden die Regierung, die sich bis 428 behauptete. Kaiser Nero bestätigte das Königtum des Tiridates, der auf den Münzen die griechische Schrift durch die aramäische ersetzte. Armenien blieb ein Pufferstaat zwischen Rom und Parthien, der für die Römer zur Abwehr der Nomadenvölker nördlich des Kaukaus von Bedeutung war. Kaiser Trajan eroberte 113 n. Chr. Armenien und zerstörte die parthische Hauptstadt Ktesiphon; sein Nachfolger Hadrian aber setzte die einheimische Dynastie schon 117 wieder in Armenien ein. 363 wurden Teile Armeniens von den Persern erobert; Kaiser Jovian schloß daraufhin mit den Sassaniden einen Friedensvertrag, in dem er auf den größten Teil Armeniens und große Teile Mesopotamiens mit Nisibis verzichtete. Rom erhielt den westlichen größeren Teil Armeniens, die Perser den östlichen Teil, der "Persarmenien" genannt wurde.3 In beiden Gebieten regierten arsakidische Könige unter römischer bzw. persischer Oberhoheit. Ost-Georgien geriet stärker unter armenischen und persischen Einfluß. Die gemeinsame Schrift und die Literatur bildeten auch weiterhin eine Klammer der halbselbständigen Teilstaaten Ost- und Westarmenien.

Von bleibendem Einfluß auf die Geschichte Armeniens und Georgiens in der Spätantike war die Übernahme des Christentums zur Zeit des Königs Tiridates III. Auch die armenische Kirche glaubt an einen apostolischen Ursprung und gibt die Apostel Bartholomäus und Judas Thaddäus als Gründer an; mit den Aposteln sollen die „Hofchristen“ um 66/68 n. Chr. zum Tode verurteilt worden sein.4 Die armenische Kirche nennt sich daher „armenisch-apostolische Kirche“. Das frühe Christentum Armeniens geht einerseits auf byzantinisch-griechische und andererseits auf syrische Einflüsse zurück; es scheint, daß auch Bardesanes von Edessa hier bereits missionierte. Das Christentum ist jedenfalls griechischen und syrischen Ursprungs; 230 und 287 werden erste Christenverfolgungen erwähnt.5 Die endgültige Annahme des Christentums wird zwischen 280 und 303 datiert.6 Unter dem Einfluß des hl. Gregor "Photistes" des Erleuchters (+ ca. 328) wurde die Christianisierung Armeniens 301 zur Zeit des Königs Tiridates III. (252-330) abgeschlossen, also zu einer Zeit, als weder der römische Westen noch der iranische Osten christlich waren. Gregor „der Erleuchter“ (Photistes + 325) kam aus dem Platonikerkreis aus Cäsasarea in Kappadokien und ließ sich etwa 314 durch den Metropoliten von Kappadokien zum "Katholikos von Armenien" weihen. Der griechische Bischof Stratophilos von Pityous (Pitsunda) in Georgien nahm 325 am Konzil von Nicaea teil. Die armenische Kirche blieb bis zur Eroberung des Landes durch die Perser 363 die Tochterkirche von Kappadokien. Die Würde des Katholikos war zunächst erblich; auf Gregor folgte dessen Sohn Aristakes, der auch am Konzil von Nicaea teilnahm. Die Anwesenheit des Aristakes auf dem Konzil ist urkundlich belegt; auf diese Weise erfahren die später legendenhaft ausgeschmückten Berichte über Gregor eine quellenmäßige Stütze.7 Die armenische Kirche übernahm auch das nicaenische Glaubensbekenntnis. Die Christianisierung erfolgte jedoch auch im Anschluß an die syrischen Schulen von Edessa; die altarmenischen Evangelientexte schlossen sich an Tatians Diatesseron an. Die Bindung an Kappadokien, Byzanz und die Griechenchristen war stärker als die an Syrien; dem armenischen Bibeltext wurde die Hexapla des Origines zugrunde gelegt. Die großen armenischen Übersetzerschulen machten das Volk seit dem 5. Jahrhundert mit der griechischen Literatur vertraut.8 Schahpur II. inszenierte um 339 die erste umfangreiche Christenverfolgung im Perserreich.9 387 wurde Armenien im Frieden von Akilisene endgültig zwischen dem Sassaniden Schahpur III. und dem römischen Kaiser Theodosius aufgeteilt: Ostarmenien – insgesamt etwa vier Fünftel des Landes - wurde persisch, Klein- bzw. Westarmenien blieb oströmisch.10 Die westgeorgische Kirche gehörte seither für Jahrhunderte zum Patriarchat Konstantinopel.11 Die Oströmer versuchten, die Kirche in West-Armenien ihrer Reichskirche zu integrieren und unterstützten das Studium der griechischen Theologie und Literatur, während die persischen Könige stets mißtrauisch darüber wachten, daß die armenische Kirche keinen Kontakt mit der Reichskirche unterhielt. Nerses I. (353-373) war der letzte in Kappadokien geweihte armenische Patriarch. In Zukunft widersetzten sich die armenischen Könige jedem Einfluß von außen. Die Byzantiner fügten sich; immerhin wurden die Beschlüsse der Konzilien von Nicaea, Konstantinopel und Ephesus mit einer gewissen Verzögerung übernommen.12 Aus Vorsicht gegenüber den Sassaniden war in Ostarmenien in der Folgezeit die syrische Sprache in Kult und Literatur in Gebrauch. Wollten die Armenier eine einheitliche Kultur bewahren, so wurde nun die Schaffung einer eigenen Literatursprache notwendig.

Im persischen Ost-Armenien verdrängte in der Folge der syrische Einfluß den griechischen. Als Ost-Georgien um 400 zum Perserreich gehörte, nahmen die georgischen Bischöfe 419 an der Synode des ostsyrischen Katholikos Mar Jabalaha I. (415-420) in Ktesiphon teil.13 Der Friedensvertrag zwischen Byzanz und den Sassaniden von 422 garantierte den Christen im iranischen Königreich die Religionsfreiheit; allerdings wurde das persische Reich für das Christentum im Kaukasus zu einer regelmäßig sich wiederholenden Bedrohung.

Iberien (Ost-Georgien) erhielt das Christentum durch die Vermittlung Armeniens. Um 330 soll das Königreich „Kartli“ (Ost-Georgien) unter der hl. Nino das Christentum angenommen haben; seither bilden die beiden Völker Armenien und Georgien ein christliches Bollwerk im Kaukasus, das trotz zahlreicher Invasionen und Eroberungen von Parthern, Persern, Byzantinern, Arabern, Türken und Russen letztlich bis heute seine Unabhängigkeit und kulturelle und sprachliche Identität bewahren konnte. Im Anfang überwog das griechische Element; auch Nino soll aus Kappadokien gekommen sein. Als erster Bischof wirkte der Enkel Gregors des Erleuchters.14 Rufin von Aquileja berichtet 402 über die Bekehrung des iberischen Königshauses um 330 in legendenhafter Form. Im 5. Jahrhundert berichten griechische Geschichtsschreiber, Bischof Alexander von Konstantinopel (314-337) hätte Johannes (335-363) zum ersten Oberhirten der Iberer geweiht. Der Katholikos von Georgien wurde jedoch bis ins 8. Jahrhundert von Antiochien geweiht, obwohl die georgische Kirche seit dem 5. Jahrhundert autokephal war. Der hl. Mirian soll der erste christliche König Georgiens; er soll die Dynastie der Chosroiden, die zwei Jahrhunderte in Georgien regierte, begründet haben, läßt sich jedoch historisch nicht nachweisen. Im "Leben der hl. Nino" wird die Christianisierung Georgiens beschrieben. Religiöse oder literarische Texte wurden zunächst auf Griechisch oder in Persisch mit aramäischen Buchstaben abgefaßt. Es scheint, daß die Christianisierung Georgiens später von etwa 350/56 auf 325 rückdatiert wurde, um nicht den araianischen Kaiser Konstantius sondern Konstantin selbst als Gründer angeben zu können.15 Die georgische Kirche gehörte auf jeden Fall bis zum Ende des 5. Jahrhunderts zur ostsyrischen Kirche und entsprach damit den Vorstellungen des Großkönigs, der in seinem Reich keine Verbindung der Christen zum Imperium Romanum dulden wollte.

406 schuf der hl. Mesrop (+ 440), der in Edessa in Syrien studiert hatte, das armenische Alphabet. Das Problem bestand darin, daß das als Vorbild dienende syrische Alphabet nur 22 Buchstaben hat; für das Armenische brauchte man jedoch 36 Buchstaben, um alle Laute wiedergeben zu können. Mesrop entwickelte in Anlehnung an die persische Awesta-Schrift die armenische Schrift, die wie das Griechische von links nach rechts geschrieben wird. Auch die Einführung der byzantinischen Liturgie in armenischer Sprache ist sein Verdienst. Die Übersetzung der Bibel ins Armenische wurde 435 beendet. Später schuf er mit seinen Schülern auch eine Schrift für die Georgier; beide Schriften blieben bis in die Gegenwart in Gebrauch. Als ältester Geschichtsschreiber der Armenier gilt Agathangelos, dessen Werk über die Bekehrung der Armenier und der Gebiete jenseits des Kaukasus auch ins Griechische, Syrische, Koptische, Arabische und Georgische übersetzt wurde. Der Verfasser behauptet, ein Augenzeuge der Bekehrung Armeniens gewesen zu sein; in Wirklichkeit dürfte das Werk jedoch erst zu Beginn des 7. Jahrhunderts verfaßt worden sein. Als im 8. Jahrhundert in Byzanz die Legende entstand, der Apostel Andreas habe die Kirche in Konstantinopel gegründet und Armenien die Christianisierung auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurückführte, entstand auch in Georgien die Legende vom Ursprung durch den Apostel Andreas, der auch nördlich des Schwarzen Meeres gepredigt habe. Als besonders wertvolle Reliquie wurde in Georgien der angebliche Leibrock Jesu verehrt, der 1622 vom Schah von Persien erbeutet und dem russischen Zaren geschenkt wurde. Die Legenden über die kirchliche Frühzeit Georgiens und die hl. Nino lassen sich jedoch nur bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen. Über die Missionierung Georgiens berichtet auch der armenische Geschichtsschreiber Moses von Choren. Im 7. Jahrhundert entstand die georgische Chronik über die "Bekehrung Iberiens" mit der Schilderung der Christianisierung des Landes. 422 kam Petrus der Iberer als Geisel nach Konstantinopel; um 430 gründete er in Jerusalem das erste georgische Kloster in Palästina.16 Die Missionierung Georgiens fand um die Mitte des 6. Jahrhunderts durch die dreizehn „syrischen Väter“ ihren Abschluß, die neue Kirchen und Klöster errichten ließen.

In den nächsten Jahrhunderten entwickelte sich durch das Zusammenwirken von Kirche und Staat mit Hilfe von gut ausgebildeten Übersetzern eine reiche armenische und georgische Literatur; theologische Werke wurden aus dem Griechischen und Syrischen übersetzt. In dieses "goldene Zeitalter" fallen auch die ersten eigenständigen Werke der armenischen Literatur. Am Konzil zu Ephesus nahmen 431 keine Bischöfe aus dem persischen Armenien teil; die Beschlüsse des Konzils wurden ihnen auch nicht zugeleitet. Später allerdings wurden die drei Konzilien von Nicaea, Konstantinopel und Ephesus von der armenischen Kirche anerkannt und rezipiert.17 Das Konzil von Chalkedon (451) mit dem Dogma der zwei Naturen Christi wurde von den Armeniern eher aus politischen als aus religiösen Gründen abgelehnt; man wollte eben unabhängig vom Oströmischen Reich bleiben. Aus diesen Gründen löste sich die armenische Kirche 374 von der Mutterkirche in Kappadokien und errichtete 428 ein eigenes Katholikat. Am Konzil von Chalkedon nahm nur ein armenischer Bischof aus dem oströmischen Teil des einstigen Arsakiden-Reiches teil. Zu dieser Zeit schlugen die Sassaniden einen armenischen Aufstand nieder. Ost-Georgien, das seit 363 zum Perserreich gehörte, orientierte sich seither eher an der ostsyrischen „apostolischen Kirche des Ostens“. Die beiden rivalisierenden Patriarchate Konstantinopel und Antiochien rangen lange um die Oberhoheit in den Gebieten im Kaukasus miteinander. Der überwiegende Teil Armeniens lehnte die christologische Definition von Chalkedon ab, die 554/55 endgültig von der Synode von Dvin verurteilt wurde. In den an das byzantinische Reich grenzenden Provinzen Armeniens neigte die Mehrheit des Klerus zum Konzil von Chalkedon, während die Antichalkedonier im persischen Machtbereich die Mehrheit hatten. Diese beiden Strömungen wirkten durch das gesamte Mittelalter bis in die Gegenwart weiter. Sie sind letztlich dafür verantwortlich, daß die armenische Christenheit seit dem Mittelalter in eine kleine mit Rom unierte und in eine große nicht mit Rom unierte Kirche gespalten ist.18

Die persischen Könige begünstigten die „apostolische Kirche des Ostens“ in ihrem Gebiet, die sich seit 484 zur „dyophysitischen“ Christologie bekannte. König Wachtang I. von Georgien (446-502) führte einen langen Unabhängigkeitskrieg gegen den Großkönig, gründete die Stadt Tiflis und das Kreuzkloster in Jerusalem und bemühte sich um die Einsetzung eines Katholikos. 468 errang die georgische Kirche unter dem Metropoliten von Mcheta ihre Unabhängigkeit.19 Der Patriarch von Konstantinopel, der 451 mit der Gleichstellung mit Rom die Oberaufsicht über die Bischöfe in den Ländern der Barbaren zugesichert erhalten hatte, wollte seinen Einfluß jedoch Recht nicht preisgeben. Daraufhin wandte Wachtang sich an den Patriarchen von Antiochien, der Georgien die Autokephalie zugestand und den Priester Petros zum ersten Katholikos weihte. Die Verbindung zu Antiochien blieb jedoch sehr lose; im 8. Jahrhundert hörte sie ganz auf. Nach eigenem Verständnis bildet Georgien nach der alten „Pentarchie“ das sechste Patriarchat.20 Die rechtliche Stellung des Patriarchen entsprach der von Byzanz. „Katholikos“ wurde im 5. Jahrhundert in der syrischen und armenischen Sprache zur Bezeichnung für das Haupt einer unabhängigen Kirche verwendet. Die Katholikoi von Ktesiphon, Armenien und Georgien amtierten außerhalb des Imperium Romanum und legten Wert darauf, keine juristische Verbindung mit der Reichskirche zu haben.

Die armenische Kirche lehnte die Beschlüsse des Konzils von Chalkedon 491 auf einer Synode von Edschmiadzin ab; dabei sollen auch georgische Bischöfe anwesend gewesen sein. Auf der gemeinsamen Synode von Dvin lehnten die armenische und die durch den Katholikos und 24 Bischöfe vertretene georgische Kirche 506 das Bekenntnis von Chalkedon ab. Sie schlossen sich den westsyrischen Kirchen an, mit denen sie in Verbindung blieben. Auf der Synode wurde in einem „Brief an die Orthodoxen in Persien“, d. h., die Gegner der Ostsyrer bekräftigt, daß die armenische Kirche die Lehre des Nestorius als Blasphemie betrachte.21 Die Angst, von der ostsyrischen Kirche des Sassanidenreiches vereinnahmt zu werden, führte die Armenier dazu, sich mit den Westsyrern (Jakobiten) zu verbünden. Vor allem der Canon 28 des Konzils von Chalkedon, der alle Kirchen des Orients dem Patriarchen von Konstantinopel unterstellte, schreckte die Armenier vor Byzanz zurück. Sie entwickelten ein eigenes westsyrisches Bekenntnis. Den Armeniern ging es um die Bewahrung ihrer Kultur; sie lehnten daher den Versuch der Sassaniden ab, ihre Kirche der ostsyrischen Reichskirche zu integrieren. Neben der offiziellen Linie gab es jedoch auch weiterhin Anhänger des Konzils von Chalkedon und der ostsyrischen „apostolischen Kirche des Ostens“.

Da sich die Armenier sowohl gegenüber den Ostsyrern in Persien wie gegenüber den Orthodoxen in Byzanz abgrenzen wollten, führten sie 552 einen eigenen Kalender ein, der mit dem Jahr 1 beginnen sollte. Es dürfte sich dabei um eine bewußte Distanzierung von Chalkedon gehandelt haben; auch später wurden die Beschlüsse des Konzils in Armenien noch mehrfach verurteilt. Spätere Geschichtsschreiber deuteten diesen Schritt als bewußten Bruch mit Ostrom. 555 wird der armenische Patriarch erstmals als „Katholikos“ bezeichnet.22 Für mehr als ein Jahrhundert gehörte die georgische Kirche zum Kreis der früher als „monophysitisch“ bezeichneten westsyrischen Kirchen. Die Georgier gründeten Klöster und Bibliotheken in Palästina wie das Kreuzkloster in Jerusalem oder Mar Saba bei Bethlehem, auf dem Sinai, bei Antiochien und auf Zypern, das Iviron-Kloster (= „iberisches“ Kloster) auf dem Athos und in Bulgarien. Petrus der Iberer (+ 488) gründete ein Kloster am Ufer des Jordan, in dem später der Patriarch Severus von Antiochien (512-518, + 538) heranwuchs, der theoretische Begründer der Diplophysiten. Eine Inschrift des georgischen Klosters Mar Saba (Bir al-Qutt) bei Bethlehem gehört zu den ältesten georgischen Inschriften überhaupt. In Jerusalem und im Katharinenkloster im Sinai existieren große georgische Handschriftensammlungen, die bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen.23 Um die Mitte des 6. Jahrhunderts wirkten die 13 „syrischen Väter“ in Georgien; durch die Erstarkung des Mönchtums kam es zu einer kirchenpolitischen Wende: Georgien kehrte zur chalkedonischen Christologie zurück und lehnte sich politisch und kulturell eher an Konstantinopel an. Unter ihrem Katholikos Kyrion I. (595-610) löste sich Georgien um 608/609 von der armenischen Mutterkirche und fand zur Einheit mit der oströmischen Kirche zurück. Es kam dabei zur endgültigen Spaltung; die Georgier schlossen sich wieder der Reichskirche an; die Weihe des Katholikos erfolgte durch den melkitischen Patriarchen von Antiochien.24 Damit zerrissen nicht nur die jahrhundertelangen friedlichen Beziehungen zwischen Armenien und Georgien, sondern auch die Verbindung zwischen der georgischen Kirche und der antiochenischen Mutterkirche. Die Eroberungszüge der Perser und Araber unterbrachen dann überhaupt jede Verbindung zwischen Georgien und Antiochien.

In Verbindung mit der armenischen Literatur entwickelte sich ab dem 5. Jahrhundert auch die georgische Literatur, die jedoch enger mit der griechisch-byzantinischen Kultur in Verbindung blieb wie die der Armenier, die sich in den christologischen Auseinandersetzungen auf die Seite der Westsyrer schlugen. Durch die Kriege mit den Persern und Arabern wurden viele Kulturgüter vernichtet. Die älteste datierte armenische Bibelhandschrift datiert von 887; alle anderen armenischen Bibelhandschriften gehören dem 10. und 11. Jahrhundert an.25 Die älteste erhaltene georgische Evangelienhandschrift (das sogenannte "Adysh-Tetraevangelium"), deren Syriazismen auf die altsyrische Bibel zurückgehen und frühe geistige Verbindungen bezeugen, entstand 897 in einem georgischen Kloster, eine weitere Handschrift (das sogenannte "Opiza-Tetraevangelium"), die heute auf dem Athos aufbewahrt wird, stammt aus dem Jahre 913. Aus der Zeit nach dem 10. Jahrhundert ist eine bedeutende Handschriftensammlung aus dem Jerusalemer Kreuzkloster erhalten.26 Die altgeorgische Bibel ist von einer armenischen Vorlage abhängig, die wiederum aus der syrischen Peschitta übersetzt wurde und von Tatians Diatesseron abhängig ist.27 Dies verdeutlicht, daß die christliche Kultur des Kaukasus stärker durch das orientalisch-syrische als durch das byzantinische Christentum geprägt wurde. Die Georgier vermittelten dem Westen die buddhistische Geschichte von Barlaam und Josaphat, eine modifizierte Form der Bekehrungsgeschichte Buddhas, die in den georgischen Athosklöstern ins Griechische und später auch ins Lateinische übersetzt wurde und bis nach Äthiopien populär wurde. Die ursprüngliche Abhängigkeit der georgischen Kultur von der armenischen wurde nach der religiösen Spaltung vor allem in Georgien verdrängt, wo man hinfort in Richtung Byzanz blickte und später behauptete, der erste Georgierkönig Pharnavas habe die georgische Schrift erfunden.28

Die georgische Kirche blieb weiterhin von der melkitischen Mutterkirche in Antiochien abhängig, wo der jeweilige Katholikos geweiht wurde. In Armenien und Georgien erlangten die Metropoliten bereits im 5. Jahrhundert eine politisch einflußreiche Stellung. Die Sassaniden eroberten 614 Jerusalem, zerstörten die Kirchen und brachten die große Kreuzreliquie nach Ktesiphon. Dem byzantinischen Kaiser Heraklius gelang es 627, Jerusalem noch einmal für kurze Zeit zurückzuerobern und das Kreuz aus Ktesiphon heimzuführen. Er besiegte den Perserkönig Chosrau II., dessen Reich zusammenbrach. Die Taten des Heraklius wurden zu einem Mythos vom Sieg des Christentums im Orient schlechthin; in ihm verkörperte sich letztmals der erfolgreiche Widerstand gegen den Expansionsdrang des persischen Großreiches nach Westen; die Befreiung des hl. Landes erhob ihn noch über Alexander den Großen. Durch den Sieg des Heraklius über die Perser schloß sich die georgische Kirche endgültig an Ostrom an. Eine grundsätzlich neue Situation ergab sich für die christlichen Völker im Kaukasus durch die Zurückdrängung des oströmischen Reiches aus dem Orient. Der Sieg des Heraklius war nur von kurzer Dauer, denn nach dem Tod Mohammeds (+ 632) erstürmte der Kalif Omar 638 Jerusalem nach einjähriger Belagerung, nachdem er zuvor bereits Syrien und Persien erobert und Damaskus und Ktesiphon eingenommen hatte. Die Oströmer verloren 642 auch Ägypten; sie waren nie mehr in der Lage, diese Verluste wettzumachen. Als sie zu Beginn des 7. Jahrhunderts Teile Armeniens zurückeroberten, versuchten sie erneut, die armenische Kirche Konstantinopel zu unterstellen und zum Anschluß an die Reichskirche zu zwingen. Paradoxerweise war es ausgerechnet die Eroberung durch die Araber, die 642 die Armenier in ihrer Eigenständigkeit bewahrte. Der Groll der Armenier gegen das Reich der „Rhomäer“, die ihnen keinen Schutz gegenüber dem Islam geboten hatten blieb; das „Katholikat“ bildete fortan die oberste kirchliche Institution der armenischen Kirche. Das arabische Protektorat über Armenien beruhte auf der gegenseitigen Anerkennung von Kalif und Katholikos, der in Zukunft jede Beziehung mit Byzanz ausschloß.29 645 eroberten die Araber Tiflis, wo sie ein Emirat errichteten, das bis 1121 bestand. Nach der Eroberung Ost-Georgiens (717) stand ganz Georgien für vier Jahrhunderte unter arabisch-islamischer Herrschaft.

Durch die arabische Expansion wurde die Verbindung Georgiens zum melkitischen Patriarchat Antiochien unterbrochen. Nach 150 Jahren ohne Katholikos schickten die Georgier 744 den Mönch Johannes mit dem Ersuchen nach Antiochien, das Verfahren zu ändern. Der melkitische Patriarch Theophylakt (744-750) beschloß mit einer Synode, daß in Zukunft der von den Bischöfen Georgiens gewählte Katholikos keiner Zustimmung von außen mehr bedürfe. Der Delegationsführer Johannes wurde zum Katholikos geweiht; damit wurde die endgültige Autokephalie der georgischen Kirche ausgesprochen.30 Gegenüber Konstantinopel rechtfertigte man den Schritt mit dem Bilderstreit; man habe sich abgewandt, weil die Reichskirche in Ketzerei gefallen sei. Im 10. Jahrhundert schlossen sich auch die zum oströmischen Reich gehörenden westgeorgischen Bischöfe dem georgischen Katholikat an. Katholikos Melchisedech I. (1010-1033) nahm auch den Titel eines Patriarchen von „Kartli“ an. „Mit dem Doppeltitel ihres Oberhauptes „Katholikos-Patriarch“ dokumentiert die georgische Kirche bis heute, daß ihr die gleiche Würde zukommt, wie sie innerhalb des Römischen Reiches die Patriarchate und außerhalb des Reiches die Katholikate beanspruchen.“31 Bis etwa 700 war auch Armenien vollständig von den Arabern erobert worden. Viele Armenier flüchteten ins oströmische Reich, wo um 815 Leo der Armenier sogar zum Kaiser aufstieg. Auf der Synode von Mantzikert verbündeten sich die Armenier 726 mit der westsyrischen Kirche.

Anfang des 11. Jahrhunderts brach die arabische Herrschaft im Kaukasus zusammen. Im Grenzbereich von Armenien und Georgien begann der Aufstieg der Familie der Bagratiden, die behauptete, von David und Salomon abzustammen und bereits im zweiten Jahrhundert die Würde eines Obersten der königlichen Reiterei von Armenien innehatte. Die Bagratiden vereinigten Georgien, nannten sich „Könige von Abchasien“ und übernahmen dort die Regierung. Auch in Armenien hatte bereits König Aschot I. (885-890) aus dem Haus der Bagratiden mit Zustimmung des Kalifen von Bagdad eine Dynastie begründen können, die dem Land für eineinhalb Jahrhunderte eine gewisse Friedenszeit unter arabischer Oberhoheit gewährte. Nach der Eroberung der armenischen Hauptstadt Ani durch die türkischen Seldschuken (1045) verlor Armenien seine Selbständigkeit. Kaiser Konstantin X. versuchte um 1060, die Armenier gewaltsam zur Anerkennung des Konzils von Chalkedon zu zwingen.32 Ein Strom von Emigranten aus Armenien überflutete die Nachbarländer; armenische Gemeinden entstanden auf der Krim, in Rußland, in Polen, Byzanz und sogar in den arabischen Ländern. Viele Armenier flüchteten nach Kilikien, wo Prinz Ruben 1080 ein Fürstentum begründen konnte, das sich mit Hilfe der Kreuzfahrer bis 1375 behaupten konnte. Die Seldschuken drängten allmählich stärker in Richtung Kleinasien, wo sie erst in den Gebirgen Kilikiens zum Stehen gebracht werden konnten. Nach der Trennung zwischen Ost- und Westrom (1054) besiegte sie 1071 Kaiser Romanos IV. Diogenes in der Schlacht bei Mantzikert. Diese Niederlage reduzierte den asiatischen Besitz des oströmischen Reiches auf die Westhälfte von Kleinasien. Die Seldschuken besetzten den größten Teil Anatoliens und errichteten 1080 das Sultanat von Ikonium (Rum = "Ostrom"). Von dieser Zeit an kam das oströmische Reich aus der Defensive gegen den Islam nur noch selten heraus. Bereits Kaiser Manuel I. Komnenos (1143-1180) knüpfte daher Unionsverhandlungen mit den römischen Päpsten an. Byzantiner und Türken führten Jahrzehnte hindurch Grenzkämpfe im Raum der heutigen Südwesttürkei; lediglich das Königreich Kleinarmenien behauptete sich noch ohne Landverbindung zu Byzanz abgeschnitten im kilikischen Raum. Hier kam es im "silbernen Zeitalter" der armenischen Geschichte in Verbindung mit den Kreuzfahrern im 13. und 14. Jahrhundert noch einmal zu einer Blüte der armenischen Kultur. Das Königreich "Kleinarmenien" in Kilikien mit der Hauptstadt Sis verteidigte sich unter der Dynastie der Rubeniden (1080-1375) mit Unterstützung des Papsttums lange gegen die Türken. Die kleinarmenischen Fürsten nahmen in der Epoche der Kreuzzüge Unionsverhandlungen mit Rom auf. Der armenische Katholikos residierte nicht nur in Etschmiadzin sondern auch in Kommagene und in Kilikien.

Auch bei den Armeniern läßt sich der Plan einer Koalition gegen den Islam schon früh verfolgen. Der Erfolg des ersten Kreuzzuges konfrontierte die Kreuzfahrer mit der Frage, wie man sich gegenüber den orientalischen Christen verhalten sollte. Armenier und Lateiner arbeiteten nach der Gründung der Grafschaft Edessa politisch Hand in Hand. Der Katholikos der Armenier war auf der Suche nach einer festen Residenz. Nach der Niederlage der Byzantiner gegen die Seldschuken behauptete sich das kleinarmenische Königreich in Kilikien, in dem die Dynastie der in Kilikien seßhaften Rubeniden die Herrschaft übernahm. 1137/38 eroberte Kaiser Johannes Komnenos Kilikien zurück und zwang auch Antiochien unter seine Oberhoheit. Papst Innozenz II. nahm Kontakte mit dem Katholikos Gregor II. von Armenien auf, dem er einen Bischofsstab überreichen ließ. Die Eroberung Edessas durch die Moslems (1144) hatte zur Folge, daß es erneut zu Kontakten Roms mit den Armeniern kam. Otto von Freising war 1145 Zeuge, als armenische Gesandte Papst Eugen III. als Schiedsrichter zwischen Armenien und Byzanz um seine Vermittlung ersuchten. In Rom wertete man dieses Ansuchen bereits als Anerkennung des päpstlichen Primats, von dem jedoch keine Rede war.33 Die Armenier ersuchten den Papst immer wieder um seinen Schutz; sie waren allerdings nie bereit, dafür ihre Eigenständigkeit aufzugeben und irgend eine Art von päpstlicher Jurisdiktion über ihr Gebiet anzuerkennen. Die Komnenen führten nach der Eroberung Kilikiens Unionsverhandlungen mit den Armeniern und Westsyrern, um ihre Herrschaft wieder auf ganz Kleinasien ausdehnen zu können. Nach dem Tod Kaiser Manuels I. begannen seine Nachfolger wieder, die Armenier zu unterdrücken, die daraufhin erneut mit dem Papsttum Kontakte aufnahmen. 1184 gestand Papst Lucius III. dem Katholikos den Rang eines Patriarchen zu und bestätigte den Armeniern ihre Rechtgläubigkeit. Durch die Vergabe des Palliums an den Katholikos wurde die Rechtgläubigkeit der armenischen Kirche von Rom anerkannt.34 Der armenische Geschichtsschreiber Vartan berichtet sogar übertreibend, der Papst habe dem Katholikos für den Osten die gleiche Machtfülle zugebilligt, die er selbst im Osten einnehme. Um die frühere Abhängigkeit der armenischen Kirche von Kappadokien vergessen zu machen, wurde zu dieser Zeit wieder die Legende vom angeblichen Vertrag Papst Silvesters mit Gregor dem Erleuchter verbreitet, nach der der Papst dem Katholikos der Armenier die oberste Jurisdiktion über die benachbarten Völker verliehen und bestimmt hätte, daß die Patriarchenstühle von Antiochien, Alexandrien und Jerusalem nur mit seiner Zustimmung besetzt werden dürften.35 Mit Hilfe dieser Legende konnten die Armenier dem Papst gegenüber die Ansprüche des lateinischen Patriarchen von Antiochien abwehren, sich ihm zu unterstellen.

Das kilikische Fürstentum der Armenier erstarkte im Laufe des 12. Jahrhunderts und wurde in das System der fränkischen Staatenwelt im Nahen Osten integriert. Kilikisch-Armenien zeigte unter dem Fürstenhaus der Rubeniden nach der Eroberung Jerusalems durch Sultan Saladin (1187) eine gewisse Bereitschaft zur Assimilation an den Westen. Das Papsttum zeigte sich daher zu gewissen Konzessionen bereit. Papst Coelestin V. ermöglichte mit Kaiser Heinrich VI. die Königserhebung Leons II. "des Großen" (+ 1219), der sich in der Hauptstadt Sis 1198 im Januar vom päpstlichen Gesandten zum König krönen ließ; auch der oströmische Kaiser Alexios Angelos schickte Leon eine Krone. Bei dieser Krönung In der Kathedrale von Tarsus waren der deutsche Kanzler, Erzbischof Konrad von Wittelsbach zu Mainz, der orthodoxe Bischof von Tarsus, der westsyrische Patriarch von Antiochien und der Gesandte des Kalifen anwesend. Mit der Krönung war die Kirchenunion mit Rom verbunden, die jedoch rein äußerlich blieb. Leon bemühte sich, Antiochien zu gewinnen; er spielte Byzanz und Rom gegeneinander aus, wobei er beiden je nach Situation eine Wiedervereinigung im Glauben anbot und die Union mehrfach löste und wieder schloß, „je nachdem wie es das antiochenische Problem gerade erforderte.“36 Papst Innozenz III. zeigte sich ob seiner Politik sehr enttäuscht. 1202 bezeichnete er den Katholikos Gregor VI. als großes Glied der Kirche. Die Union beruhte allein auf dem Willen der armenischen Herrscherfamilie. „Sie mußte rein oberflächlich bleiben, denn sowohl Rom als auch die Gregorianer hatten trotz einzelner Berührungspunkte eine ganz andere Auffassung von der ‚Universalen Kirche‘, die jeweiligen Vorstellungen von einer Vereinigung ließen sich deshalb nicht in Einklang bringen. Während die Kurie immer wieder die Anerkennung des römischen Primates verlangte und darauf bestand, daß der ihr gebührende Gehorsam geleistet werde, waren die Armenier nur zu einem Freundschaftspakt auf gleicher Ebene bereit.“37

Leon II. gelang es nicht, Antiochien zu behaupten. Sein Nachfolger war sein Schwiegersohn Hethum I. (1227-1270), der die romfreundliche Politik der Rupeniden fortsetzte und nach dem Sieg der Mongolen über den Sultan von Konya (1243) mit dem Großkhan der Mongolen Kontakte aufnahm und 1254/55 zu ihm nach Karakorum reiste, um den Fortbestand seines Reiches und Steuerfreiheit für die Christen im Mongolenreich zu erreichen. Es ging darum, den Armeniern einen Modus vivendi zu sichern; er erblickte in den Mongolen den willkommenen Bündnispartner gegen die Moslems. Als der Vertreter des Papstes 1261 dessen Oberhoheit über die Armenier betonte, ließ ihm der Katholikos durch seinen Vertreter antworten, Rom habe kein Recht, sich über die anderen Gemeinden zu erheben, die ebenfalls apostolischen Ursprungs seien.38 Die Union stand auf keinem sicheren Fundament, denn der Katholikos verweigerte konsequent die Anerkennung des päpstlichen Primates über die Armenier. Wahrscheinlich sah die armenische Kirche im Bündnis mit den Mongolen einen sichereren Schutz gegen die Moslems als in der Unterwerfung unter den Papst. Die Union wurde zwar nicht offiziell aufgekündigt, aber der Katholikos gab der Kurie zu verstehen, daß er sich von ihr nichts befehlen lasse und nahm auch nicht am zweiten Konzil von Lyon teil.

Der armenische König von Kilikien mußte jedoch auf die Kreuzfahrerstaaten Rücksicht nehmen. 1266 griff der Mameluken-Sultan Baibars Kilikien an und verwüstete die Hauptstadt Sis. König Hethum I. dankte zugunsten seines Sohnes Leons II. (1269-1289) ab und trat in ein Kloster ein. Nach 170jähriger fränkischer Herrschaft wurde Antiochien von den Moslems zurückerobert. Die Franziskaner ließen sich in der 2. Hälfte des Jahrhunderts in Tarsus und Sis nieder und nahmen den Katholikos Konstantin II. 1288 in aller Stille in die römische Kirche auf. Dieser mußte jedoch zurücktreten. Der neue König Hethum II. (1289-1305) beteuerte der römischen Kurie gegenüber, ein treuer Sohn Roms zu sein. Papst Nikolaus IV. (1288-1292) zeigte sich darüber sehr erfreut und forderte den französischen König auf, den Armeniern beizustehen. Nach der Eroberung Akkos (1291) waren die Armenier auf sich allein gestellt. Der armenische Katholikos residierte in der Burg von Hromkla am Euphrat, die 1292 von den Mameluken erobert wurde. Nach der Gefangennahme des Katholikos ließ König Hethum II. einen neuen Katholikos wählen, der in seiner Residenz Sis seinen Aufenthalt wählte. Hier war er dem Druck des romfreundlichen Königtums stärker ausgesetzt. 1311 ließ sich der armenische Bischof von Jerusalem zum Gegen-Katholikos ausrufen. Die von Rom erzwungenen Reformen spalteten das Volk in zwei Parteien. Der König befürwortete die Union, das Mönchtum und das niedere Volk lehnten sie ab. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien trugen zur Destabilisierung Kilikiens bei. Ins Land gekommene Dominikaner trugen nicht zur Beruhigung der Lage bei. Hethums Neffe Hethum der Jüngere (+ ca. 1308) nahm bis 1305 an diversen Kämpfen gegen den Islam teil, verzichtete aber später auf alle Thronansprüche, trat auf Zypern dem Prämonstratenserorden bei und reiste im Auftrag des zypriotischen Königs nach Paris, wo er das Geschichtswerk "La flos des estoires della terre d` Orient" bzw. "Flos Historiarum terre Orientis" einem Mitbruder diktierte, das Papst Clemens V. gewidmet war und bald auch ins Lateinische übersetzt wurde. Das Werk liegt in drei Rezensionen vor und besteht aus vier Büchern; im letzten Buch erörtert der Autor den Plan einer Rückgewinnung des hl. Landes. Hethum gehörte zu den Orientalen, die in Europa für ein gemeinsames Vorgehen mit den Mongolen gegen den Islam warben. Obwohl die christlichen Kaukasusvölker dem Bewußtsein der Europäer in der Regel weit entrückt waren, wurde man ihrer sofort bewußt, wenn es darum ging, Koalitionspläne gegen den immer weiter vordringenden Islam zu schmieden.

1337 mußte König Leon V. (+ 1342) dem Sultan von Ägypten schwören, alle Kontakte mit den Franken abzubrechen. Auf die Hilferufe der Könige antworteten die Päpste stets mit der Forderung nach der Unterwerfung. Nach dem Tod Leons wurden fränkische Adelige aus dem Haus Lusignan zu Königen von Kilikien. Bis um 1360 war das Königreich auf die Umgebung von Sis zusammengeschrumpft. Die Opposition gegen den latinophilen Hof wurde immer stärker. 1375 wurde Sis von den Mameluken erobert; der Katholikos Paulus I. wechselte dabei die Fronten. Trotz der großen Anpassungsfähigkeit der Armenier behaupteten sich letztlich die Traditionalisten. Die Kirchenunion war zum Scheitern verurteilt, weil die Armenier dem Papst zwar einen Ehrenvorrang zuzubilligen bereit waren, nicht aber das Recht zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Das Katholikat Sis wurde später nach Antelias bei Beirut verlegt. Später spaltete sich das Katholikat; 1441 wählten die Bischöfe und Äbte Großarmeniens in Etschmiazin einen Gegenpatriarchen Kirakos I., dessen Sitz im Laufe der Jahrhunderte von der Mehrheit der Armenier faktisch als „oberstes Patriarchat aller Armenier“ anerkannt wurde. Der großarmenische Patriarch residiert in Etschmiadzin, der kleinarmenische Katholikos residiert heute im Libanon. Durch Unionsversuche mit Rom und Byzanz suchten die Armenier politische Unterstützung zu erhalten. 1737 wählten die chalkedonensischen Armenier einen eigenen Katholikos von Armenien, der von Papst Benedikt XIV. die Bestätigung in Rom erhielt und 1742 anerkannt wurde. Seither gibt es neben dem Katholikos-Patriarchen von Etschmiadzin und dem Katholikos von Kilikien auch noch einen unierten armenisch-katholischen Patriarchen in Beirut.

Im Kaukasus ging die Führung der Christen nach der Eroberung Armeniens durch die Seldschuken und Türken an das unabhängig gebliebene Königreich Georgien über, wo die Könige aus dem Haus der Bagratiden den Kampf gegen den Islam fortführten. Das Katholikat von Georgien gehört noch heute zum Kreis der orthodoxen Kirchen, während die armenische Kirche mit dem Katholikos von Edschmiadsin und dem Patriarchen von Antelias bei Beirut zu den nicht chalkedonensischen Kirchen gehört. Bestand hatte von den Unionsversuchen im Zeitalter lediglich die 1181 geschlossene Union Roms mit den Maroniten des Libanon, die als einzige katholische Ostkirche Einfluß bewahren konnte; sie steht unter der Leitung des katholischen Patriarchen von Antiochien. Die Beziehungen der Maroniten zu Rom wurden 1215 bekräftigt, blieben aber bis zum Konzil von Florenz recht locker.

In Georgien hingegen war es den Bagratiden gelungen, im 9. Jahrhundert im Südwesten unter der Patronanz von Byzanz ein eigenes Königreich zu errichten. Es gelang dem Königtum, sich im Bunde mit der Kirche gegen den Islam und die Araber und Seldschuken zu behaupten. Viele georgische Gelehrte studierten seit dem 10. Jahrhundert in Byzanz; auf diese Weise wurde die byzantinische Kultur und Tradition bis in die arabischen Gebiete vermittelt. König David II. der Erneuerer (1089-1125) vertrieb die Seldschuken und konnte 1122 sogar Tiflis erobern, das Zentrum eines Emirats gewesen war. Er eroberte 1123 die armenische Hauptstadt Ani von den Seldschuken zurück und versuchte vergeblich, die Armenier zur Orthodoxie zu bekehren. Die angebliche davidische Abstammung des Königshauses verlieh diesem eine besondere Stellung, die noch durch die kirchliche Königssalbung bekräftigt wurde. Auf Münzen nannte er sich „Schwert des Messias“. Davids Urenkelin Thamar (1184-1212) nannte sich auf Münzinschriften "Helferin des Messias".39 Unter Davids Nachfolger Dimitri erzielte der General und Staatssekretär Ivané oder Joané (Johann) vor den Toren von Ani einen großen Sieg über die Feinde Georgiens. Um diese Zeit tauchte in Europa erstmals das Gerücht von dem geheimnisvollen Priester Johannes auf, der eine große Schlacht gegen die Mohammedaner geschlagen habe. Jahrzehnte später berichteten Chronisten von einem christlichen König David, der als Schwiegervater des Priesterkönigs Johannes bezeichnet wurde. Der Mythos entstand vermutlich in der Absicht, die Kreuzzugsstimmung in Europa nach dem Fall des Kreuzfahrerfürstentums Edessa (1144) neu zu entfachen.

Das römische Papsttum ging die Sache strategisch an und versuchte, Kontakte mit den orientalischen Christen anzuknüpfen. Vor 1224 wandte sich die georgische Königin Russutana (1222-1245), die sich in Münzinschriften "das Schwert des Messias" nannte, an Papst Honorius III., der sie um Unterstützung für den geplanten Kreuzzug ersucht hatte.40 Papst Gregor XI. wandte sich 1240 an die streitbare Fürstin, die er in seine strategischen Überlegungen einbezog. Zwischen 1233 und 1240 kam es sogar zu Anerkennung des päpstlichen Primates in Georgien. Ab 1230 kamen Franziskaner nach Georgien, ab 1240 auch Dominikaner, die immer wieder versuchten, Teile der georgischen Orthodoxie zu einem Anschluß an das Papsttum zu bewegen. Aufgrund des orthodoxen Kirchenverständnisses, in dessen Zentrum die brüderlich-kollegiale und synodale Leitung durch die gleichberechtigten Patriarchen steht, blieben alle diesbezüglichen Versuche vergeblich. Der General Ivané wurde von der historischen Forschung als eines der Urbilder des "Mythos vom Priester Johannes" gedeutet, möglicherweise auch vom päpstlichen Legaten Pelagius.41 Dies ist vielleicht im Zusammenhang damit zu sehen, daß der Mythos mehrfach mit einem König David in Verbindung gebracht wird, der als Verwandter des Priesterkönigs Johannes ausgegeben wird. Es gibt jedoch keine eindeutige und andere Deutungen ausschließende Erklärung für die Herkunft des Mythos. Wo er auftaucht, steht er jedoch immer in Verbindung mit einer Spekulation über einen Zangenangriff der Christen von Ost und West gegen den Islam. Im Laufe der Jahrhunderte sollte er zahlreiche Verwandlungen erfahren.

Nach einem Sieg georgischer Truppen über die Mameluken erhielt Georgien 1300 von den verbündeten Mongolen sogar Jerusalem und die heiligen Stätten zum Geschenk, die sie freilich nur für kurze Zeit behaupten konnten.42 Derartige Erfolge genügten, um die Schlagkraft der Christen des Orients in Europa ins Legendenhafte auszuschmücken. Das Papsttum bemühte sich durch die Entsendung von Franziskanern und Dominikanern auch um eine Union mit der georgischen Kirche; 1328 verlegte Papst Johannes XXII. den Bischofssitz von Smyrna nach Tiflis und besetzte ihn mit einem Dominikaner. Auch weiterhin kam es noch zu Briefwechseln zwischen der georgischen Kirche und Rom. Die Georgier erkannten zwar den Papst als Nachfolger Petri an, nicht aber den päpstlichen Primat über ihre Kirche. Georgien überstand die Zerstörungswelle Tamerlans und behauptete sich bis 1800 als unabhängiges Königreich. Nach dem Tod des letzten Königs wurde Georgien von Rußland annektiert. Bis heute steht der Katholikos von Georgien in einer gewissen Abhängigkeit vom Moskauer Patriarchat.

 

1 C. Burney u. D. M. Lang: Die Bergvölker Vorderasiens. Armenien und der Kaukasus von der Vorzeit bis zum Mongolensturm, (= Magnus Kulturgeschichte), Essen, 1975
2 Michel van Esbroek: Armenien, in: LThK 1, 3.A., 1993, 999-1004
3 John Julius Norwich: Byzanz, Bd. 1: Der Aufstieg des oströmischen Reiches, Düsseldorf 1998, 108
4 Mesrop Krikorian: Die Geschichte der Armenisch-Apostolischen Kirche, in: Die Kirche Armeniens. Eine Volkskirche zwischen Ost und West, hg. v. Friedrich Heyer, (= Die Kirchen der Welt 18), Stuttgart 1978, 29-58, hier 29f
5 Müller (1981), 354
6 Paul Krüger: Zur Einführung des Christentums in Armenien durch den König Trdat (Tiridates), in: OSt 19, 1970, 339-346, hier 345
7 Peter Halfter: Das Papsttum und die Armenier im frühen und hohen Mittelalter, (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 15), Köln-Weimar-Wien 1996, 23
8 Carl Schneider: Geistesgeschichte der christlichen Antike, München 1970, 334f
9 Richard Frye: Persien, (= Magnus Kulturgeschichte), Essen1975, 445
10 Norwich (1998), 120
11 Lothar Heiser: Die georgische orthodoxe Kirche und ihr Glaubenszeugnis, (= Sophia 26), Trier 1989, 17
12 Jean-Pierre Mahé: Die armenische Kirche von 611 bis 1066, in: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642-1054), in: Die Geschichte des Christentums 4), Freiburg-Basel-Wien 1994,473-542, hier 475f

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13 C. Detlef G. Müller: Georgien und der christliche Orient, in: OSt 35, 1986, 168-175, hier 169
14 Die Geschichte des Christentums 2 (1996), 1089
15 Heiser (1989), 22f
16 ebenda, 28f
17 Mesrop Krikorian: Die Rezeption der …kumenischen Konzilien nach Chalzedon, in: Chalzedon und die Folgen, hg. v. Rudolf KirchschlŠger u. Alfred Stirnemann, (= Pro Oriente 14), Innsbruck-Wien 1992, 214f
18 Nerses Setian: Eine Rechtfertigung der katholisch-unierten armenischen Kirche aus der Geschichte, in: Die Kirche Armeniens, hg. v. Friedrich Heyer, (= Die Kirchen der Welt 18), Stuttgart1978,159-163, hier 159f
19 H.M. Biedermann: 1500 Jahre Autokephalie der Orthodoxen Apostolischen Kirche von Georgien, in: OSt 33, 1984, 310-331, hier 317; vergl. dazu: Latourette I (1980), 225
20 ebenda, 320
21 Halfter (1996), 55
22 Mahé (1994), 477, Anm. 13
23 Müller: Georgien und der christliche Orient (1986),174
24 Mahé (1994), 479 u. Bernadette Martin-Hisard: Kirche und Christentum in Georgien, in: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642-1054), in: Die Geschichte des Christentums 4, Freiburg-Basel-Wien 1994, 543-599, hier 551
25 Kawerau (1972), 24
26 Martin-Hisard (1994), 573
27 Joseph Molitor: Die georgische Bibelübersetzung, in: Oriens Christianus 40, 1956, 23-29
28 H. Goussen: Die georgische Bibelübersetzung, in: Oriens Christianus 6, 1906, 299-318, hier 304-306
29 Mahé (1994), 491
30 Martin-Hisard (1994), 575 u. Heiser (1996), 37
31 ebenda, 38
32 Mahé (1994), 535
33 Halfter (1996), 141
34 ebenda, 156
35 ebenda, 166
36 Hans Eberhard Mayer: Geschichte der Kreuzzüge, (= Urban Tb. 86), Stuttgart-Berlin-Köln, 8.A., 1995, 223
37 Halfter (1996), 244f
38 ebenda, 309
39 Michael Tarchnisvili: Das Verhältnis von Kirche und Staat im Königreich Georgien, in: Oriens Christianus 39, 1955, 79-92, hier 81ff
40 Heiser (1989), 53
41 Ph. Bruun: Die Verwandlungen des Priesters Johannes, in: Z. d. Gesellschaft f. Erdkunde 11, 1876, 279-314, hier 291f. Diese Deutung findet sich auch bei Steven Runciman: A History of the crusaders, vol. 3: The Kingdom of Acre, Cambridge 1966, 162 mit Bezug auf Pelagius.
42 Müller (1981), 365